Vektorielle Katalyse: Dänischer Brain-Preis für Peter Hegemann

Monday, 11. March 2013

Peter Hegemann

Der "Brain Prize", eine dänische Auszeichnung für Arbeiten in der Hirnforschung, wird an sechs führende Wissenschaftler für die Entwicklung der "Optogenetik", einer revolutionären Technologie, die das Verständnis unseres Gehirns und seiner Erkrankungen vertieft, vergeben. Unter den Preisträgern ist auch UniCat-Professor Peter Hegemann (D4 und E4). Hegemann ist Professor für experimentelle Biophysik im Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die weiteren diesjährigen Preisträger sind der Österreicher Gero Miesenböck, die Deutschen Ernst Bamberg und Georg Nagel sowie die Amerikaner Ed Boyden und Karl Deisseroth, wie am Montag, den 11. März 2013 in Kopenhagen bekannt gegeben wurde.

Gemeinsam haben diese Wissenschaftler den Grundstein für eine revolutionäre Technologie gelegt, die sogenannte Optogenetik, die uns ein völlig neues, grundlegendes Verständnis der komplexen Hirnfunktionen bescheren wird.

Mittels der Optogenetik lassen sich neurologische Erkrankungen wie Parkinson- und Alzheimer-Krankheit, Epilepsie, Schmerzstörungen, Schizophrenie, ADHD und Suchterkrankungen besser untersuchen. Diese Technologie wird eine zentrale Rolle für das Verständnis dieser Erkrankungen und, im Laufe der Zeit, auch in der Entwicklung möglicher Behandlungen spielen.

Vergeben wird der Forschungspreis von der Grete Lundbeck European Brain Research Prize Foundation. Die Entscheidung der Jury begründet deren Vorsitzender, der britische Professor Colin Blakemore, so: „Unbestritten stellt die optogenetische Steuerung von Nervenzellen den bedeutendsten technischen Fortschritt in den Neurowissenschaften der vergangenen 40 Jahre dar. Sie wird unser Verständnis über neuronale Schaltkreise und deren Bewältigung komplexer Vorgänge wie das Lernen und die Bewegungssteuerung revolutionieren. Außerdem bietet sie möglicherweise einen ganz neuen Ansatz zur Wiederherstellung der Nervenfunktion bei Blindheit oder bei einer Degeneration des Gehirns, sowie zur Behandlung einer ganzen Reihe anderer neurologischer und psychiatrischer Störungen.“

Durchbruch des Jahrzehnts 

Die Optogenetik, die bereits als Durchbruch des Jahrzehnts gefeiert wird, nutzt Licht zur Steuerung von Nervenzellen (Neuronen), die zuvor gentechnisch verändert und so lichtempfindlich gemacht wurden. Werden diese veränderten Neuronen mit Licht einer bestimmten Wellenlänge angeregt, können sie gezielt an- und abgeschaltet werden.

Die vier europäischen Wissenschaftler Bamberg, Hegemann, Miesenböck und Nagel machten die grundlegenden Beobachtungen und Entdeckungen und entwickelten lichtempfindliche Moleküle, die in bestimmte Arten von Nervenzellen eingeführt werden können. In der Zusammenarbeit mit den Europäern gelang den beiden amerikanischen Preisträgern die Weiterentwicklung des Verfahrens und dessen Einsatz bei lebenden Säugetieren. 

Die Neurowissenschaften liefern das wichtige Verständnis sowohl der Funktion des gesunden Gehirns als auch der Ursachen von Hirnerkrankungen. Schätzungen zufolge verschlingt die Behandlung von Erkrankungen von Gehirn und Nervensystem mehr Geld als die Therapie von Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs zusammen. Beispielsweise wird die Zahl der Personen, die an Alzheimer erkranken, erheblich steigen, da der Anteil an älteren Menschen in der Gesellschaft stetig zunimmt.

Damit werden auch die Ausgaben für die Behandlung und den Umgang mit dieser Krankheit steigen. Allein in Europa leben bereits heute 7 Millionen Menschen mit Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen. Man geht davon aus, dass sich diese Zahl alle 20 Jahre verdoppeln wird. Die durch Demenz verursachten Kosten, die derzeit in Europa 130 Milliarden Euro jährlich betragen, werden entsprechend steigen.

Förderung der Forschungslandschaft

Der „Brain Prize“ ist der weltweit höchstdotierte Forschungspreis in den Neurowissenschaften und wird dieses Jahr zum dritten Mal vergeben. Das Preisgeld stützt die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern in Europa und den USA und trägt so zur Stärkung der internationalen neurologischen Forschungslandschaft bei.  

Dr. Nils Axelsen, Aufsichtsratsvorsitzender der Stiftung, erläutert dazu: „Der Preis kann an Wissenschaftler vergeben werden, die in Europa geforscht oder in ihrer Forschung mit europäischen Wissenschaftlern zusammengearbeitet haben. Durch diese Vergabebedingung regt der Preis die internationale Zusammenarbeit zwischen den traditionell starken Forschungskulturen in Europa und den USA an. Darüber hinaus inspiriert er aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die dabei sind, eine solide Hirnforschung zu etablieren.“  

Alle sechs Wissenschaftler werden nach Dänemark reisen, um bei der feierlichen Verleihung am 2. Mai gemeinsam den Preis entgegenzunehmen.

Weitere Informationen erhalten Sie bei: 

Kim Krogsgaard, MD, DMSc
Geschäftsführer
Tel. +45 3917 8240 or +45 2014 8384
kk(at)thebrainprize.org
Nils Axelsen, MD, DMSc
Vorsitzender des Aufsichtsrates
Tel. +45 4054 8646

Grete Lundbeck European Brain Research Foundation 
Ole Maaløes Vej 3 
2200 KOPENHAGEN N
DÄNEMARK

www.thebrainprize.org

Fakten

  • Forschungspreis „Brain Prize“ wird von der unabhängigen, gemeinnützigen Non-Profit-Stiftung Grete Lundbeck European Brain Research Prize Foundation vergeben. 
  • Der jährlich verliehene Preis wird 2013 zum dritten Mal in Folge vergeben. Dieses Jahr wird damit die Entwicklung der Optogenetik ausgezeichnet, einer revolutionären Technologie, die das Verständnis unseres Gehirns und seiner Erkrankungen vertieft. 
  • Beim „Brain Prize“ handelt es sich um eine Auszeichnung, die an Wissenschaftler vergeben wird, die sich durch außergewöhnliche Beiträge zur europäischen Hirnforschung verdient gemacht haben. 
  • Überreicht wird der Preis von Seiner Königlichen Hoheit, Kronprinz Frederik von Dänemark, am 2. Mai in Kopenhagen. 

Zur Optogenetik:

Ein unwahrscheinlicher Traum wird wahr

Bereits 1999 vermutete der Nobelpreisträger Francis Crick, dass sich die Aktivität von Gehirnzellen durch Licht steuern ließe. Gut zehn Jahre später ist diese auf den ersten Blick eher unwahrscheinliche Vorstellung nicht nur wahr geworden, sondern auch zu einer vielseitigen, leistungsstarken Technologie gereift, die von der Fachzeitschrift Science 2010 zum „Durchbruch des Jahrzehnts“ erklärt wurde.

Die Optogenetik macht sich lichtempfindliche Ionenkanäle (Kanalrhodopsin) zunutze, die unter anderem bei bestimmten Algen und bei Fruchtfliegen vorkommen. Diese lichtempfindlichen Ionenkanäle werden mittels einer bestimmten Form der Gentherapie in zuvor festgelegte Arten von Nervenzellen eingebracht. Dabei werden zwei verschiedene Formen der lichtempfindlichen Ionenkanäle genutzt: eine, die die Aktivität des Neurons einschaltet und eine, die sie wieder ausschaltet. Indem beide Arten von Ionenkanälen eingeführt und die Nervenzellen mit Licht spezifischer Wellenlänge stimuliert werden, lassen sich die Neuronen gezielt ein- oder ausschalten.

Die Geschichte der Optogenetik begann mit der Erforschung winziger einzelliger Algen, die sich auf Lichtquellen zu bewegen. Hegemann und seine Kollegen entdeckten dabei 1992, dass sich die Durchlässigkeit der Zellmembran für Kationen ändert, wenn die lichtempfindliche Substanz, die in der Membran dieser Algen vorkommt, beleuchtet wird. Diese Moleküle ähneln dem optischen Pigment Rhodopsin, das allgemein in Fotorezeptoren zu finden ist. Der Eintritt von Kalzium in die Algenzelle aktiviert außerdem die Bewegung der Geißel, mit deren Hilfe sich die Algen fortbewegen.

Gemeinsam mit Nagel und Bamberg gelang es Hegemann, das Rhodopsin aus den Algen in die Eier des Afrikanischen Krallenfroschs zu übertragen. Er stellte fest, dass das Rhodopsin der Algen einen Kanal enthält, das die Ionendurchlässigkeit der Zellmembran verändert, wenn das Rhodopsin mit Licht bestrahlt wird. Dieses Molekül nannten er und seine Kollegen Kanalrhodopsin. 

Vier Jahre später, 2003, beschrieben Nagel, Bamberg, Hegemann und ihre Kollgen eine Variante des Kanalrhodopsins (ChR2), die eine schnellere Aktivierung des zugehörigen Kanals durch Licht erlaubte. Es gelang ihnen, mit gentechnischen Verfahen ChR2 in der Oberflächenmembran isolierter Säugetierzellen zu exprimieren und die Zelle schnell und zuverlässig durch Licht zu aktivieren. 

Bereits 2002 beschrieb eine von Miesenböck geleitete Forschungsgruppe eine etwas andere Strategie für die Aktivierung eines genetisch rekonstruierten Moleküls, einschließlich des Rhodopsins aus der Fruchtfliege Drosophila. Im Jahr 2005 nutzte Miesenböcks Gruppe ein weiteres optogenetisches Verfahren zur Veränderung des Flugverhaltens von Drosophila.

Damit war die Grundlage für eine bahnbrechende Zusammenarbeit gelegt. Nagel und Bamberg stellten den beiden jungen amerikanischen Wissenschaftlern Boyden und Deisseroth ChR2 zur Verfügung, das diese dann erfolgreich gentechnologisch in die Nervenzellen von Säugetieren einführten.

Von 2005 bis 2007 arbeiteten Hegemann, Boyden, Bamberg, Nagel und Deisseroth an der Entwicklung optogenetischer Methoden zur Hemmung und Anregung von Neuronen. Ab 2007 nahm diese Entwicklung einen rasanten Verlauf. Heute wird die Optogenetik in zahlreichen Labors auf der ganzen Welt eingesetzt und viele Neurowissenschaftler streben danach, diese Methode zu erlernen und einzusetzen.

Die Preisträger

  • Prof. Dr. Ernst Bamberg, Deutschland, ist Direktor des Max-Planck-Institut für Biophysik und Leiter der dortigen Abteilung für Biophysikalische Chemie in Frankfurt am Main.
  • Prof. Ed Boyden, USA, ist Associate Professor am MIT Media Lab und am McGovern Institute in den Abteilungen für Biologische Verfahrenstechnik und für Hirn- und Kognitionswissenschaft am MIT in Cambridge, Massachusetts.
  • Prof. Karl Deisseroth, MD, PhD, USA, ist DH Chen Professor für Biotechnik und für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaft an der Standford-Universität in Kalifornien.
  • Prof. Dr. Peter Hegemann, Deutschland, ist Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Biophysik am Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin.
  • Dr. med. Gero Miesenböck, Österreich, ist Waynflete Professor für Physiologie und Direktor des Zentrums für neuronale Schaltkreise und Verhalten der Universität Oxford.
  • Prof. Dr. Georg Nagel, Deutschland, ist Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik am Julius-von-Sachs-Institut für Biowissenschaften der Universität Würzburg.